4. Entwicklung des Spielemarktes in Deutschland von 1980 bis 2000
Umsätze - Ursachen - Konkurse - Ausblick
1. Umsatzentwicklung
Der Spielemarkt in Deutschland ist seit 1982 bis 1994 kontinuierlich gewachsen. Häufig mehr als 10% pro Jahr. 1982 betrug der Umsatz ca. 260 Mio. DM, 1994 ca. 850 Mio. DM. Seit 1994 ist der Markt etwas rückläufig (1996 770 Mio. DM) und stagniert in den letzten drei Jahren auf hohem Niveau bei ca. 760 Mio. DM.
1.1 Ursachen des Wachstums
Es gibt eine ganze Reihe von Einflußfaktoren, die den Spielemarkt positiv beeinflußt haben.
- Die Auszeichnung "Spiel des Jahres"
(seit 1979) wurde vom Handel und von den Spielekäufern sehr positiv aufgenommen. Sie wurde schon deshalb sehr bedeutend, weil sie häufig zu einer mehr als zehnfachen Umsatzsteigerung des Spiels führt.
Die Jury hat mit ihrer Wahl Zeichen gesetzt. Die Verlage haben die Qualität des Spiels in Spielsystem, Grafik und Ausstattung deutlich verbessert.
- Spieleveranstaltungen
wurden ins Leben gerufen. Die Internationalen Spieltage in Essen ist mit Abstand die bedeutendste Veranstaltung dieser Art. Sie wurde 1983 gegründet und wächst seither ständig. Heute kommen knapp 150.000 Besucher an 4 Tagen zu dieser Publikumsmesse für Spiele. Neben "Essen" gibt es weitere große Veranstaltungen, z.B. in Wien, Stuttgart, München, und sehr viele kleinere Veranstaltungen.
- Die Medien
berichteten häufiger über Spiele und stellten die positiven Aspekte des Spielens in Vordergrund.
Es gibt heute eine ganze Reihe namhafter Spielkritiker, die kompetent die neuen Spiele eines Jahrgangs vorstellen.
Spiele-Fachmagazine informieren die wachsende Spieleszene.
- Die Autoren
treffen sich seit 1983 jährlich einmal in Göttingen. Daraus hat sich eine lebendige Autorenszene entwickelt, die dann zur Spieleautorenzunft (SAZ) führte (1991). Dies ist ein eingetragener Verein, der sich für das Kulturgut Spiel einsetzt und die Interessen der Spieleautoren vertritt. Seit 1997 gibt es in München ein zweites Autorentreffen.
Die Anzahl der Autoren hat sich in den letzten 20 Jahren vervielfacht. Dies führte zu einem größeren Angebot von qualitativ guten Prototypen.
- Die Spiele
haben sich weiterentwickelt, das Niveau wurde gesteigert. Es kamen neue Spielgattungen hinzu, wie z.B. Erwachsenenspiele, Kommunikationspiele, Fantasiespiele, Sammelkartenspiele, die neue Käuferschichten erschließen konnten.
- Viele engagierte Spieleclubs
entstanden in Deutschland, die zur Verbreitung des Spiels beitrugen und eine lebendige Spieleszene entstehen ließen.
- Der Deutsche Spielepreis
wurde 1990 eingeführt und stellt einen Publikumspreis für die besten Spiele eines Jahrganges dar.
- Fachorganisationen (z.B. Deutsches Spielearchiv), Museen (z.B. Deutsches Spielemuseeum), Spieliotheken und Initiativgruppen
wurden gegründet.
1.2 Ursachen der Stagnation
Seit 1995 ist der Spielemarkt leicht rückläufig bzw. stagniert auf hohem Niveau.
Ich denke, es kommen dafür folgende Gründe in Betracht:
- Elekronik-, PC- und Video-Spiele
verdrängen teilweise das Gesellschaftsspiel.
Die 10-18 Jährigen spielen in erster Linie solche Spiele.
- Die allgemeine Wirtschaftslage
und die hohe Arbeitslosigkeit veränderten das Konsumverhalten. Es wurden weniger hochpreisige Spiele dafür mehr Spiele im niedrigen Preissegment verkauft. Die preiswerten Kartenspiele erlebten einen Aufschwung.
- Andere Freizeitbeschäftigungen
stellen eine ernsthafte Konkurrenz für das Spiel dar: Internet, Sport, Reisen, audiovisuelle Medien.
- Keine spektakulären Innovationen
, keine neuen Spielgattungen gaben dem Markt neue Impulse. Bei den Bestsellern der 80ziger und frühen 90ziger traten Marktsättigung ein.
1.3 Warum gibt es im deutschprachigen Raum so viele neue, anspruchsvolle Spiele?
Eine der wesentlichsten Ursachen dafür stellt die Jury Spiel des Jahres dar, die immer wieder betont, daß nur das Spiel, das den Menschen fordert, preiswürdig ist und die Zukunft des Spiels sichert. Daneben sind es aber auch alle Kriterien, die unter Punkt 1.1 aufgeführt und dem Spiel den enormen Umsatzschub gebracht haben. Diese Kriterien haben dazu geführt, daß sich das anspruchsvolle Spiel verbreiten konnte.
Lange hat man auch in Deutschland nicht geglaubt, daß anspruchsvolle Spiele auf hohe Nachfrage stoßen können. Erst der große Erfolg von "Die Siedler von Catan" hat allen Zweiflern gezeigt, welches Umsatzpotential ein anspruchsvolles Spiel haben kann.
Die Folge war, daß Autoren, Verlage und der Handel sich viel intensiver für das anspruchsvolle Spiel eingesetzt haben. So entstanden dann Spiele wie z.B. El Grande, Löwenherz, Euphrat & Tigris, Durch die Wüste, Elfenland, Giganten, Union Pacific, Ra, Tikal, Torres usw.
2. Konkurse
Durch den Aufschwung wuchsen auch die Verlage kräftig mit und konnten ihren Umsatz mitunter verdreifachen. Neue Spieleverlage und neue Marken wurden gegründet, so z.B. Kosmos, Goldsieber, Amigo, Queen-Games, Winning Moves, Drei Magier Verlag, Adlung-Spiele.
Die zahlreichen Konkurse bzw. Aufkäufe von Spieleverlagen zeigen aber, daß auch eine Boomphase ihre Tücken besitzt. Wer in einer solchen Phase am Markt vorbei entwickelt, schreibt Verluste und bekommt schnell Liquiditätsprobleme.
In dieser Wachstumsphase blieben einige kleinere Verlage auf der Strecke, so z.B. Bütehorn, Hexagames, Sala-Spiele, Fun Connection.
Die Gefahren des Wachstums zeigten sich aber erst, als der Umsatz wieder leicht zurückging.
"ASS" und "Schmidt Spiel & Freizeit" (SSF) meldeten Konkurs an. "FX Schmid"(FXS), "Klee-Spiele" und "Berliner-Spiele" wurden aufgekauft. Leider handelte es sich bei SSF und FXS nicht um kleine Verlage. SSF war die zweitgrößte und FXS die drittgrößte deutsche Firma. Beide Firmen gehörten zu den traditionellen Spiele-Verlagen in Deutschland. Der Umsatz von SSF lag zuletzt über 100 Mio. DM.
2.1 Gefahren des Wachstums
Wie war es möglich, daß Firmen nach einem langen Aufschwung zusammenbrachen?
Der Umsatzzuwachs befand sich über mehrere Jahre hinweg im zweistelligen Prozentbereich. Welche Ursachen führten zu den Konkursen?
- Kosten
: Um die gestiegene Nachfrage zu befriedigen, mußten die Firmen kräftig in Produktion, Lager, Vertrieb und Organisation investieren. Dies führte zu wesentlich höheren Fixkosten.
- Handel
: Während der Wachstumsphase hat sich die Struktur des Handels drastisch geändert. Es kam zu einer Konzentration in große Handelsketten. Die kleineren Spielwarenfachgeschäfte fielen den Handelsriesen zum Opfer. Den Verlagen standen jetzt einige wenige, aber sehr mächtige Handelsorganisationen gegenüber, die stark auf die Preise drückten und Verkaufsunterstützung verlangten.
- Wettbewerb
: Das Wachstum führte zu einem wesentlich höheren Wettbewerb. Große amerikanische Verlage drängten auf den deutschen und europäischen Spielemarkt. MB gibt es erst seit Anfang der siebziger Jahre in Deutschland und Mattel begann 1988 mit dem Vertrieb von Spielen. Die (amerikanischen) Großverlage begannen mit teurer und aggressiver Fernsehwerbung. Um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken kam es zu Firmenaufkäufen.
- Lebensdauer eines Spiels
: Die Folge des größeren Wettbewerbs und der höheren Nachfrage war, daß die Anzahl und die Qualität der Spiele deutlich stieg. Die höhere Qualität der Spiele verursacht höhere Erstkosten für ein Spiel. Die vielen neuen Spiele führten zu einer drastischen Senkung der Lebensdauer eines Spiels. Viele Spiele werden bereits nach 1-2 Jahren wieder vom Markt genommen. Wer am Markt vorbeiproduzierte konnte seine Erstkosten nicht mehr einspielen.
Die Konzentration im Handel, der verstärkte Wettbewerb, die höheren Kosten, die leicht rückgängigen Umsätze und eine falsche Produktpolitik waren die Ursache für die Konkurse der deutschen, mittelständischen Verlage.
3. Ausblick: Wie wird sich der Spielemarkt entwickeln?
Prognosen sind immer schwierig. Die Elektronikspiele und das Internet sind weiterhin im Vormarsch. Das Spiel wird es schwer haben, sein hohes Niveau zu halten. Trotzdem kann es gelingen. Gefordert sind neue, innovative Spielideen, die das Spielen zu einem einmaligen Erlebnis werden lassen. Gefordert sind qualitativ hochwertige Spiele, die das gesellige Beisammensein von Menschen fördern. Noch gibt es nur wenige andere Freizeitmedien, die Menschen zusammenführen, um gemeinsam Spaß zu haben. Es gilt, die Stärken des Spiels noch mehr zu betonen. Für Verlage und Autoren kommt es darauf an, gute neue Produkte zu entwickeln, die in der Lage sind, neue Käuferschichten erschließen.
Ich gehe davon aus, daß Spiele auch in Zukunft ihren Markt haben werden. Es wird aber keine hohe Steigerungsraten mehr geben. Eher denke ich, daß der Gesamtumsatz etwas zurückgehen wird und zwar um so mehr, je weniger neue innovative Spiele veröffentlicht werden. Das Spiel braucht neue Impulse um wieder wachsen zu können. Deshalb denke ich, daß es bereits ein Erfolg ist, wenn das bisherige Umsatzniveau gehalten werden kann.
Vorgetragen zur SAZ Mitgliederversammlung im Juni 1997
Veröffentlicht in der Zeitschrift "Spiel & Autor" im Herbst 1997
Ergänzt für die Veröffentlichung auf dieser Website im März 2000
Wolfgang Kramer
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