9. ÜBER DAS WESEN DES SPIELS
Persönliche Vorstellung
Beginnen möchte ich mit zwei Zitaten frei nach Friedrich Schiller:
Es ist das Spiel und nur das Spiel, das den Menschen vollständig macht.
Der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er spielt.
Der Spielbegriff
Leider kennt die deutsche Sprache keine unterschiedlichen Wörter für die verschiedenen Arten des Spiels.
Allumfassender Spielbegriff:
Das Spiel ist jede Tätigkeit, die ohne bewußten Zweck, sondern nur aus Vergnügen an der Tätigkeit ausgeübt wird.
Hierunter fallen dann Tätigkeiten wie z.B. Tanzen, Musizieren, Schauspielen, Bauchreden, Spielen mit Puppen oder mit der Eisenbahn usw.
Das Spiel in engerem Sinne:
Dazu gehören u.a. folgende Brett- und Kartenspiele: Schach, Mühle, Dame, Halma, Go, Mensch ärgere Dich nicht, Monopoly, Domino, Mikado, Scrabble, Skat, Romme´, Bridge, usw. usw.
Über diese Spiele will ich heute reden.
Das Wesen des Spiels in 8 Thesen
These 1: Spiele sind Kulturgüter
Spielen ist älter als Schreiben und Lesen.
Spielen ist so alt wie die Menschheit selbst.
Spiele sind Spiegel der Zeit.
Einzelne Spiele
- Das Spiel von Ur (über 5000 Jahre alt)
- Das Spiel Senet aus dem Grab Tutanchamuns ist über 5000 alt
- Mühle - ist über 4000 Jahre alt
- Go - stammt aus China und wurde etwa 700 v.Chr. erfunden.
- Schach - stammt aus Indien, etwa 6. Jahrhundert n.Chr.; Vorläufer: Caturanga
- Dame - stammt aus Südfrankreich 12. Jahrhundert
- Puzzle - 1763 erfunden von einem englischen Kupferstecher
- Halma - 1883; kommt aus England
- Mensch - ärgere - dich - nicht! stammt vom Anfang des 20. Jh.; sein Vorgänger
aus Indien, Pachisi, ist viel älter.
- Monopoly - entstand während der Weltwirtschaftskrise; bei Parker veröffentlicht 1935
- Scrabble - wurde 1938 veröffentlicht.
These 2: Der Ablauf eines Spiels ist nie gleich
Wenn wir ein Spiel beginnen, wissen wir nie wie es ausgehen wird.
Darin unterscheidet sich das Spiel vom Buch, vom Film und von der Musik.
Darin bezieht das Spiel seine Spannung.
Dies ist der Grund, warum wir ein und dasselbe Spiel immer wieder spielen.
Ein gutes Spiel begleitet uns durchs ganze Leben.
These 3: Spielen bedeutet, aktiv zu sein
Wer ein Buch liest, einen Film sieht oder Musik hört, nimmt auf oder eignet sich an, er handelt aber nicht.
Während heutzutage die meisten Freizeitgestaltungen den Mensch zum passiven Verhalten verführen, bringt ihn das Spiel dazu, aktiv zu sein.
Wie äußert sich die Aktivität im Spiel?
Je nach Spiel werden folgende Tätigkeiten ausgeübt:
- Geistiger Bereich
- Denken, Kombinieren
- Planen,
- Entscheiden
- Konzentrieren
- Gedächtnis trainieren
- Wissen erwerben
- Verständnis der Wirkungsweise von Systemen
- Emotionaler Bereich
- Regeln, Gesetze akzeptieren
- Lernen, sich in eine Gemeinschaft einzufügen
- Verlieren lernen
- Sich und andere kennenlernen
- Phantasie und Kreativität einsetzen
- Motorischer Bereich
- Geschicklichkeit üben
- Reaktion üben
These 4: Spielen bedeutet, gemeinsam etwas zu erleben
Spiele sind Brücken, die Menschen zusammenbringen und zwar über Geschlechter, Generationen und Völker hinweg.
These 5: Spielen bedeutet, frei zu sein
Wer spielt, tut dies aus eigenem Antrieb und bindet sich freiwillig an dessen Regeln.
Er wird von niemand gezwungen oder genötigt.
Er kommt keiner Verpflichtung nach und geht keine Verpflichtung ein.
These 6: Spielen bedeutet, sich spielerisch zu messen
Jedes Spiel ist ein Wettbewerb mit einem Spielziel und Spielregeln.
Die Spielergebnisse können gemessen werden.
• Bei Mensch-ärgere-dich-nicht gilt es, der erste zu sein, der alle 4 Figuren im Ziel hat.
• Bei Monopoly gilt es, der Spieler mit dem meisten Geld zu sein.
• Bei Skat gilt es, die meisten Punkte zu haben
• Bei Schach, Dame, Mühle gilt es, gegnerische Figuren zu schlagen.
• Bei Go und Risiko geht es um Raumgewinn.
These 7: Spielen bedeutet, in eine Spielwelt einzutauchen
Alles, was in einer Spielwelt geschieht, hat keine Bedeutung für die Realität.
Wir können uns in der Spielwelt beliebig tummeln, ohne daß es eine Auswirkung auf die Realität hat.
These 8: Spielen bedeutet, unsere Welt besser zu verstehen
Das Spiel ist mit der Wirklichkeit vergleichbar.
Der Ablauf der Wirklichkeit und der Ablauf im Spiel werden durch die gleichen Faktoren gesteuert.
• Gesetze (Naturgesetze und die Gesetze der Menschen)
Die Spielregel entspricht im Spiel den Gesetzen der Realität.
• Zufall
• Eigenes Handeln (im Rahmen vorgegebener Grenzen)
• Wettbewerb (die Besten setzen sich durch)
• Ablauf und Ende sind unbekannt
• Gleiche Sprache und Ausdrucksmittel
Trotz dieser Gemeinsamkeiten
ist die Spielwelt nie Alltagswelt und die Wirklichkeit ist nie Spielwelt.
Spielwelten haben einen begrenzten Raum und einen anderen Zeitbegriff.
Spielwelten bestehen nur für eine sehr kurze Zeit.
Ich glaube aber, daß wir durch das Spiel unsere Welt besser begreifen
können.
Dieser Vortrag wurde im Herbst 1998 bei der Firma Weinmann gehalten
29.10.1998
Wolfgang Kramer